Der MP3-Player in meinem Auto spielte „Maymorning“ von Runrig als ich Anfang Mai erstmals zu meinem Arbeitsplatz bei THE BRITISH SHOP unterwegs war. Das Lied steigerte zum einen meine Vorfreude auf den neuen Job und die Kollegen, zum anderen vergaß ich darüber ein bisschen meine Nervosität. Die Musik der schottischen Folk-Rock-Band lernte ich vor 20 Jahren kennen, als ich meinen jetzigen Ehemann traf, der ihre Musik seit einem Urlaub in Schottland zu schätzen wusste. 1999 erlebten wir Runrig zum ersten Mal live, in der Düsseldorfer Philipshalle. Es folgten Konzerte in Köln und auf der Loreley.
Runrig ist ein Phänomen, entweder man kennt die Band gar nicht, weil deren Lieder so gut wie nie im deutschen Radio gespielt werden, außer, wenn Hunderte Fans Musikwunsch-Sendungen nutzen, oder man ist absoluter Fan und gehört somit zu den „Riggies“ (Runrig-Fanbezeichnung in Deutschland). Dann besucht man viele Live-Auftritte und nennt möglichst alle Alben, DVDs, Compilations etc. der seit 45 Jahren erfolgreichen Schottenrocker sein eigen.
Farewell-Tour in Deutschland, Dänemark, England und Schottland
Aber leider geht nach diesen viereinhalb Jahrzehnten eine Ära zu Ende: Am 17. und 18. August 2018 versammeln sich Runrig und ihre treuen Fans am Stirling Castle in Schottland zum „Last Dance“. Mit zwei Open-Air-Konzerten endet dort die sensationelle Karriere der Band, die sich ursprünglich „Run Rig Dance Band“ nannte. 1973 gründeten sie die Brüder Rory (Bass, Gesang und Akustikgitarre) und Calum MacDonald (Percussion,Gesang). 1974 kam als Sänger und Gitarrist Donnie Munro dazu, der Runrig bis 1997 entscheidend prägte, sich dann aber der schottischen Politik widmen wollte. Einen würdigen Ersatz fand Runrig 1998 in dem aus Neuschottland (Kanada) stammenden Bruce Guthro mit seiner unverwechselbar warmen und vollen Stimme. Zudem sind seit 1978 Malcolm Jones (Gitarre, Dudelsack, Akkordeon), seit 1980 Iain Bayne (Schlagzeug) und seit 2001 Brian Hurren (Keyboard, Gesang) mit von der Partie.
Im September 2017 kündigten Runrig ihre Abschiedstournee „The Final Mile“ durch Deutschland, Dänemark, England und Schottland an. Innerhalb von 15 Minuten waren die Tickets für das Open-Air in Stirling am 18. August ausverkauft, weshalb noch schnell ein am Vorabend stattfindendes Konzert am selben Ort organisiert wurde. Dafür gab es ebenfalls nach wenigen Stunden keine Tickets mehr.
In Berlin, Stuttgart und Köln konnten die Fans im Juni hierzulande ein letztes Mal die Kultband live erleben. Meine Familie und ich hatten das Vergnügen, Runrigs letzte dreistündige Show auf deutschem Boden, in Köln, gemeinsam mit 15.000 anderen Riggies zu genießen. Es war sehr emotional, auch ich habe die eine oder andere Träne vergossen. Das gemeinsame Singen von hymnenartigen Liedern wie „Alba“, „Books of Golden Stories“, „Every River“ und „Loch Lomond“ beschwor nochmals den besonderen Geist der Runrig-Konzerte herauf. Nicht nur ich werde diese großartigen Konzerte vermissen.
Mit Gälisch fing alles an
Ihren Ursprung nahm Runrigs Musik auf der schottischen Insel Skye, von der die Brüder MacDonald stammen. Sie komponierten zunächst nur Lieder in Gälisch, die Sprache der Kelten. Dabei kombinierten sie geschickt traditionelle Melodien mit zeitgenössischem Rock und Pop. Liedtexte in Englisch sorgten dafür, dass die Fangemeinde auch außerhalb Schottlands wuchs, besonders in Dänemark und Deutschland.
Insgesamt 15 Studio-Alben (zehn mit dem Sänger Donnie Munro, fünf mit Bruce Guthro), acht Live-Alben und 17 Compilations veröffentlichte Runrig zwischen 1978 und 2018. Das erste Studio-Album heißt „Play Gaelic“, „Beat the Drum“ wurde 1998 noch mit Donnie Munro herausgegeben, 1999 folgte „In Search of Angels“ mit Bruce Guthro und zuletzt 2016 „The Story“. Alle Platten sind absolut hörenswert, kein Riggie hat nur ein Lieblingslied, sondern ein jeder hat seine Favoriten. Schön ist, dass man mittels DVDs immer und immer wieder in die besondere Atmosphäre der Live-Konzerte eintauchen kann. Besonders erwähnenswert ist „Year of the Flood“. Dieser Live-Mitschnitt entstand beim Konzert am 17. August 2007 am schottischen Loch Ness, dessen Festivalgelände durch einen am Vorabend einsetzenden Dauerregen nie gesehenen Ausmaßes sich in ein Schlamm-und-Pfützen-Areal verwandelte. Über 17.000 Fans werden dieses Ereignis wohl nie vergessen, zumal wegen der DVD-Aufzeichnung keine Regenschirme genutzt werden durften.
Runrig im Weltall
Runrig-Fans gibt es natürlich auch in anderen Ländern. Traurige Berühmtheit erlangte die US-Astronautin Laurel Clark, die 2003 zwei CDs ihrer Lieblingsband mit an Bord der Raumfähre „Columbia“ nahm. Am Morgen des 1. Februar 2003 spielte sie Runrigs Song „Running to the Light“ als Weckruf für ihre sechs Kollegen. Beim Landeanflug am gleichen Tag verglühte jedoch die Raumfähre und die gesamte Crew starb. Der noch intakte CD-Player mit der Runrig-CD darin wurde einige Monate später unter 83.000 Fundstücken in einem Trümmerhaufen gefunden. Ehemann und Sohn übergaben die gefundenen CDs kurz darauf den Bandmitgliedern. Laurel Clark hatte eigentlich ein Foto von sich im Weltraum für das Runrig-Fanmagazin „The Wire“ machen wollen.
Zum Abschied
Ein besonderes Abschiedsgeschenk bekam die Band nach dem diesjährigen Kölner Konzert vom Stadionsprecher des 1. FC Köln: ein Trikot mit der Nummer 45 und dem Schriftzug „Maat et Joot“ („Macht es gut“). Für alle nicht Rheinländer: Die emotionsgeladene Hymne des 1. FC Köln basiert musikalisch auf dem schottischen Traditional „Loch Lomond“, das Runrig vor langer Zeit neu vertonte und über viele Jahre das Abschlusslied bei ihren Konzerten war. Die Riggies lieben „ihre“ Balladen-Hymne und die FC-Fans werden in ganz Deutschland um „Mer stonn zu Dir, FC Kölle“ beneidet.
Nun fällt also der letzte Vorhang für Runrig: In Köln verabschiedeten sich Bruce Guthro und seine Bandkollegen wehmütig vor ausverkauftem Haus, in dem sie den Fans für ihre Loyalität, für die erwiesene Freundschaft und für das unglaubliche Leben, das ihnen ermöglicht wurde, dankten. Das Originalzitat: „There is no easy way to say this: They say the hardest things to say in life are the first hello and the last good bye. But before we go we want you to know that we have always respected your loyalty that we have always valued your friendship and we will always be grateful for this amazing life you’ve given us. No sad good byes tonight for wherever we go from this day forward you will be in our hearts. God bless you all.“
Mit den Abschiedsworten Donnie Munros von 1997 können sich die Fans auch jetzt trösten: „Music lives on, Runrig lives on.“ Runrig wird weiterleben, ob beim Musikhören, DVD schauen oder bei bereits geplanten Fantreffen, denn „There’s no Way without you“. Farewell, Runrig!
Leserbriefe (3)
Monika Rech
am 17.08.2018Josef Barth
am 05.09.2019Schade aber 45 Jahre ist auch eine lange Zeit .
Susanne K.
am 16.09.2019