Was wäre Großbritannien ohne die gute alte Tante BBC? Es gäbe keine Proms, keinen „Doctor Who“, keine der legendären Naturdokus und im Radio kein gälisches Programm, das wir bei jeder Schottlandreise hören, ohne je ein Wort zu verstehen. 2022 wird der Sender 100 Jahre alt. Einer seiner Väter – der erste Generaldirektor und eine wahrhaft prägende Persönlichkeit – war John Reith, der am 20. Juli 1889, also vor genau 130 Jahren, in Schottland zur Welt kam. Er blieb bis 1938 auf dem Posten und wechselte danach in die Politik, unter anderem war er Verkehrsminister im Kabinett Winston Churchills, mit dem ihn eine lebhafte Feindschaft verband.
Reiths Baby, die BBC (British Broadcasting Corporation, gegründet als British Broadcasting Company) war ursprünglich von Unternehmen, die Rundfunkgeräte produzierten, ins Leben gerufen worden. Denn was nützt ein Radio, wenn keiner sendet? Dem Generaldirektor ging es aber nicht in erster Linie ums Geldverdienen. John Reith, der später in den Adelsstand versetzt wurde, hatte höhere Ideale: Rundfunk sollte der Bildung und Information der Bevölkerung dienen und sich, was den Inhalt angeht, dem Wahren, Guten und Schönen verpflichten. Sprich: Wenn Reith der Ansicht war, eine Nachricht schade der Gesellschaft, dann ließ er sie nicht senden – so geschehen beim Generalstreik 1926. Nur die Regierung und die Arbeitgeber kamen zu Wort. Es wäre aber unfair, Reiths Leistungen auf dieses damals nicht unübliche autoritäre Gehabe zu reduzieren. Er schuf ein Leitbild, das die BBC bis heute prägt. Sie wird mitunter als Staatsfernsehen bezeichnet, aber das trifft es nicht, weil sie per Satzung zur Unabhängigkeit verpflichtet ist und dies auch erfüllt – mitunter gegen Widerstände.
Die Kinderjahre der BBC waren konfliktreich. Theater liefen Sturm gegen die neue Konkurrenz, weil sie die Leute zu Hause hielt. Künstleragenturen untersagten ihren Klienten, im Rundfunk aufzutreten. Zeitungen wollten das Programm nicht drucken, deshalb erfand Reith die Zeitschrift „Radio Times", die noch heute existiert.
Im Zweiten Weltkrieg erlangte die BBC große Bedeutung: Hier hielt der König seine Reden ans Volk, hier appellierte Churchill an den Durchhaltewillen. Gesendet wurde aber auch auf Deutsch ins „Dritte Reich“ hinein – Deutsche, die beim Hören des „Feindsenders“ erwischt wurden, riskierten Kopf und Kragen. Trotzdem hielten sich viele nicht ans Verbot, da sie nur hier glaubhafte Informationen bekamen. Vier Paukenschläge im Rhythmus „da da da daaa“, die Beethovens Fünfter nachempfunden waren und zudem das V für „Victory“ im Morse-Alphabet symbolisierten, prägten das kollektive Gedächtnis einer ganzen Generation – so begannen die Sendungen, gefolgt von: „Hier ist England“.
Heute ist die BBC längst nicht mehr konkurrenzlos, was sie bis in die 1970er hinein war. Ihr Programm dient nach wie vor der Bildung, wenn auch sicher nicht in allen Sendungen (zu den beliebtesten gehört heute die Tanzshow „Strictly Come Dancing“, zum Beispiel). Gleichwohl ist der alte Anspruch immer noch da und kann – auch wegen der Gebührenfinanzierung – eher erfüllt werden als von Privatsendern.
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