Die Grafschaft Essex ist groß und vielfältig, das „Essex Girl“ dagegen sehr eindimensional. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein Klischee:
- junge Frau,
- künstlich erblondet,
- dauerhaft sonnengebräunt (aus der Tube oder von der Sonnenbank),
- nicht sehr helle, dafür aber umso lauter.
- Sie stöckelt auf steilen Stilettos und
- trägt Miniröcke, die auch als Gürtel durchgehen könnten,
- hat die Treue nicht erfunden,
- feiert viel und
- trinkt gern einen über den Durst.
Es ist also gar kein Wunder, dass sich Frauen aus Essex mit diesem Bild, das irgendwann in den 1980ern in den nordöstlichen Vorstädten Londons entstanden ist und durch die TV-Serie „The only Way is Essex“ verstärkt wurde, nicht so recht anfreunden können. Eine Kampagne, den Begriff aus den Wörterbüchern streichen zu lassen, hat jetzt einen ersten Erfolg gehabt: Das Oxford Dictionary für Einsteiger, das überwiegend von ausländischen Studierenden genutzt wird, führt das „Essex Girl“ nicht mehr. Andere, darunter das Cambridge Dictionary, Collins und auch Wikipedia geben aber weiterhin Auskunft, was sich hinter dem abwertenden Ausdruck verbirgt.
Die Redaktion des Oxford Dictionary hat die Entscheidung übrigens damit begründet, dass der Begriff nicht mehr sehr verbreitet ist – und nicht mit dem Druck aus der Kampagne.
Um die verächtliche Zuschreibung loszuwerden, haben sich zahlreiche echte „Essex Girls“ fotografieren lassen, die so gar nicht ins Klischee passen – ganz normale Frauen mit ganz normalem Alltag. Der Erfolg ist ihnen zu gönnen. Gleichwohl bleibt die Frage, ob gesellschaftliche Phänomene dadurch verschwinden, dass man sie nicht mehr benennt – ein Thema, über das man lange streiten kann.
Ungerechterweise beschreibt der Begriff „Essex Man“, den es auch gibt, keinen völligen Hohlkopf wie das weibliche Pendant, sondern einen zwar einfach gestrickten und ebenfalls lauten Mann, der aber immerhin eine politische – sehr konservative – Meinung hat. Er trat erstmals in der Ära Thatcher auf den Plan.
Das County Essex wird in England zum Leidwesen seiner Bewohnerinnen und Bewohner häufig als eine Art Karikatur wahrgenommen: als Lebensraum der spektakulär Ungebildeten oder aber der Menschen aus dem Volke, die das Herz auf dem rechten Fleck tragen. Beide Stereotype treffen nicht zu und haben historische Gründe. Sie stammen aus der Zeit der Industriellen Revolution, als tausende Landbewohner nach London strömten und sich hauptsächlich im Nordosten ansiedelten.
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