Fast wie im Freien
Britisches Wetter ist bekanntlich wechselhaft und auch im Sommer nicht sonnensicher. Hier liegt ein Grund für die außerordentliche Beliebtheit von Wintergärten, die auf Englisch „conservatories“ heißen, in jedem Wohnmagazin zu finden sind und in ganz unterschiedlicher Gestalt daherkommen – vom futuristischen Glaskasten bis zum viktorianischen Teehaus. Geht man durch Wohnsiedlungen, so stellt man fest: Die traditionelle Variante, also eine Kombination aus soliden Holz- oder Metallstreben und Glasscheiben, kommt am häufigsten vor. Die Anbauten gelten, wenn sie professionell ausgeführt sind, als wertsteigernd fürs Haus, schaffen zusätzlichen Platz gerade in schmalen Reihenhäusern und vermitteln rund ums Jahr ein Gefühl, man sitze im Freien oder jedenfalls nicht in düsteren Innenräumen. Allerdings verkleinern sie den Garten – und man muss viele Scheiben putzen.
Dass diese Anbauten „conservatories“ heißen, hat mit ihrer Geschichte zu tun. Ursprünglich dienten sie dazu, empfindliche Pflanzen vor Kälte zu schützen und zu „konservieren“, also zu erhalten. Jeder Schloss- oder Herrenhausbesitzer, der auf sich hielt, ließ ab dem 17. oder 18. Jahrhundert eine Orangerie bauen, in der, wie der Name schon sagt, Orangenbäumchen im Winter einen Unterschlupf fanden. Diese Gebäude waren und sind – denn viele gibt es ja noch – nicht unbedingt direkt ans Haus angebaut und haben viele und hohe Fenster, damit die Pflanzen genug Licht bekamen. Im Sommer, wenn die Bäumchen ins Freie durften, wurden sie als Treffpunkt, für Konzerte und zum Parlieren genutzt.
Ab dem 19. Jahrhundert war es dank des technischen Fortschritts möglich, reine Glaspaläste zu bauen – mit einem Eisengestell, aber ohne Mauerwerk. Das Paradebeispiel war der zur Weltausstellung 1851 errichtete und viel bestaunte riesige Crystal Palace, nach dem noch heute ein Londoner Stadtteil benannt ist (obwohl das Meisterwerk selbst leider bei einem Brand zerstört wurde). Nun begann die große Zeit des Gewächshauses, aber auch des gläsernen Anbaus an die eigenen vier Wände. Der Boom endete vorerst mit Beginn des Ersten Weltkriegs.
Ab den 1970ern kamen „conservatories“ wieder in Mode, hatten aber den Nachteil, dass sie wegen ihrer einfachen Verglasung im Sommer zu heiß und ansonsten zu kalt waren, um sich wirklich darin aufzuhalten. Inzwischen hat sich das geändert; automatische Belüftung und Heizung sowie Sonnenschutz ermöglichen die ganzjährige Nutzung. Viele dieser Hi-Tech-Anbauten sind Erweiterungen der Küche, um Platz für einen großen Esstisch zu haben, manche eine Art Zweit-Wohnzimmer oder ein Studio für Kunstschaffende. Beim – bevorzugt lichtfesten – Mobilar gibt es inzwischen auch große Auswahl, es muss nicht immer der Rattanstuhl sein.
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