Kommt Regen oder Sonnenschein?
Wie ist das Wetter? Diese Frage stellen sich nicht wenige Menschen in Großbritannien, wenn sie am 15. Juli aus dem Fenster schauen. Denn dann ist St. Swithun‘s Day – ein Tag, dem ähnlich wie unserem Siebenschläfer eine besondere Vorhersagekraft für das Wetter der kommenden 40 Tage zugeschrieben wird.
Doch wie kommt es, dass der englische Sommer durch einen längst verstorbenen angelsächsischen Bischof vorhergesagt werden soll?
St. Swithun - Bischof von Winchester
St. Swithun (oder Swithin) war im neunten Jahrhundert der Bischof von Winchester. Laut Aufzeichnungen war er zudem der spirituelle Berater von Æthelwulf, dem damaligen König von Wessex – und wohl auch Lehrer von Æthelwulfs Sohn Alfred, der später als Alfred der Große bekannt wurde.
Aber was hat er denn nun mit dem Wetter zu tun? An seinem einzigen Wunder zu Lebzeiten kann es nicht gelegen haben. Denn als einer Dame ein Korb mit Eiern herunterfiel und diese zerbrachen, eilte der Bischof herbei und machte die Eier auf wundersame Weise wieder ganz. So lautet zumindest die Legende. Seine vermeintlichen Kräfte als Wetterorakel verdankt er jedoch den Ereignissen nach seinem Tod. Denn der heilige Swithun soll sich mit seinem letzten Atemzug gewünscht haben, ganz bescheiden im Freien begraben zu werden. Er wollte, dass die Menschen über sein Grab wandern und der Regen sanft darauf fallen kann.
Ein Grab im Freien und ein Regensturm
Als er am 2. Juli 862 starb, wurde ihm sein Wunsch zunächst gewährt. Doch mehr als 100 Jahre später, im Jahr 971 entschieden Æthelwold von Winchester und Dunstan, Erzbischof von Canterbury, dass Swithun der Schutzheilige der restaurierten Kathedrale von Winchester werden sollte. Deshalb wurde sein Körper am 15. Juli 971 ins Innere der Kathedrale umgebettet.
Das hat dem heiligen Swithun wohl gar nicht gefallen. Denn daraufhin soll es 40 Tage pausenlos geregnet haben. So kam der 15. Juli zu seinen Ehren, das Wetter der nächsten vierzig Tage vorhersagen zu können.
Doch es ist gut möglich, dass sich die Legende des Heiligen verselbstständigte und der Wetterglaube erst später auftauchte. Möglicherweise entstand er auch erst im Jahr 1315, als am St. Swithun’s Day ein heftiger Regensturm tobte.
Die Wundertaten des Heiligen
Erzählungen von posthumen Wundern des Bischofs trugen wohl ebenfalls zur Legendenbildung bei: So erschien der längst verstorbene Heilige einmal Königin Emma, der Mutter von Edward dem Bekenner, in einer schwierigen Situation.
Denn sie wurde des Ehebruchs mit dem damaligen Bischof von Winchester beschuldigt und musste eine Prüfung ablegen, um ihre Unschuld zu beweisen. In der Nacht davor soll der Geist des St. Swithun ihr versichert haben, dass das Feuer ihr nichts anhaben würde. Am nächsten Tag ging die Königin unbeschadet barfuß über heiße Klingen. Das war sodann ein weiteres Wunder des Heiligen Swithun und ein eindeutiger Beweis, dass die Königin unschuldig war.
Es sind wohl solche Geschichten und Wundertaten, die St. Swithun zu einer Vielzahl von Erwähnungen verhalf: Denn sein Name taucht in Jane Austens letztem Gedicht, in TV-Serien wie „Die Sopranos“ und „Die Simpsons“ und dem Roman „Zwei an einem Tag“ von David Nicholls auf, dessen Handlung über einen Zeitraum von 20 Jahren jeweils am St. Swithun’s Day spielt.
Wettertendenzen
Was das Wetter betrifft, haben sich möglicherweise all die Ereignisse und Legenden mit tatsächlichen Beobachtungen vermischt, dass sich das Wetter zur Mittsommerzeit zumindest grob bestimmen lässt. Denn dafür gibt es eine wissenschaftliche Grundlage – die immerhin eine Tendenz zu trockenem der eher unbeständigem Wetter andeuten kann.Eine genaue Vorhersage für die nächsten 40 Tage lässt sich damit jedoch nicht treffen.
Anfang bis Mitte Juli pendelt sich der Jetstream auf ein Muster ein, das oftmals bis Ende August einigermaßen stabil bleibt. Liegt der Jetstream nördlich der Britischen Inseln, kann kontinentaler Hochdruck eindringen; liegt er über oder südlich der Britischen Inseln, herrschen arktische Luft und atlantische Wettersysteme vor.
Ob St. Swithun tatsächlich etwas mit dem Wetter tun hat, ist also mehr als unklar. Einen festen Platz in der englischsprachigen Kultur hat er in jedem Fall inne – und die typische britische Unterhaltung über das Wetter bekommt durch ihn eine weitere Dimension.
Leserbriefe (0)
Keine Leserbriefe gefunden!