Charlotte, Emily und Anne – so heißen die drei Schwestern der wohl berühmtesten Literatenfamilie der Welt. Wer auf ihren Spuren wandeln will, kommt an einem Besuch in Haworth/Yorkshire nicht vorbei. Hier hat die Familie Brontë in der Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt.
Heimat
Tausende von Literaturinteressierten zieht es jedes Jahr in den Ort, an dem heute kaum noch etwas an die katastrophalen Zustände der damaligen Zeit erinnert. Die Kindersterblichkeit war extrem hoch, die sanitären Verhältnisse unmenschlich. Die Brontë-Schwestern wuchsen gemeinsam mit ihrem Bruder bei ihrem alleinerziehenden Vater Reverend Patrick Brontë im Pfarrhaus direkt neben der Kirche St. Michael auf. Die Mutter war früh gestorben. Vom Wohnzimmer aus konnte die Familie die Grabsteine des Friedhofs sehen. Es heißt, der Gestank, der aus den Gräbern drang, sei kaum auszuhalten gewesen. Das Pfarrhaus ist heute für Besucherinnen und Besucher geöffnet. Hell und freundlich wirkt es im Inneren. Mitte des 19. Jahrhunderts hingegen soll es düster gewesen sein, die Einrichtung karg. Im Garten erinnern Bronzefiguren an die Schwestern, deren reales Leben recht eintönig verlief. Obwohl alle die Schule besuchten, gab es wenig Kontakt zur Außenwelt und bisweilen wurden die Mädchen als seltsam bezeichnet. Weltfremd sollen sie gewesen sein, dabei aber auch hochintelligent. Der Vater gewährte allen jederzeit Zugang zur Bibliothek. Emily soll – auch dank eines Aufenthaltes in Brüssel – fließend Französisch gesprochen haben. Zudem beherrschte sie Latein und Altgriechisch.
Freiheitsdrang
Gemeinsam mit ihrem Bruder Branwell dachten sich die Schwestern allerlei kreative Spiele aus und erfanden fantastische Welten. Sie erschufen fiktive Länder wie Angria, Gondal und Gaaldine. Freiheit und Selbstbestimmtheit waren ihnen wichtig. Aber diese Art zu denken war in der damaligen Zeit nicht gern gesehen und Frauen waren in Bezug auf ihre Berufswahl sehr eingeschränkt. Es gab genau zwei Möglichkeiten, entweder man wurde Gouvernante oder Lehrerin. Die Schwestern fügten sich zunächst, waren aber nie wirklich glücklich mit den Optionen. Branwell, der ebenfalls schrieb, war darüber hinaus ein begnadeter Maler, der sich seinen Lebensunterhalt lange Zeit mit Porträtmalerei verdiente. Allerdings kam er mit sich und dem Leben nicht zurecht und verfiel der Opium- und Alkoholsucht. Eine gescheiterte Beziehung mit einer verheirateten Frau verschlimmerte die Situation. Im Pub „Black Bull“ soll er Stammgast gewesen sein. Heute erinnert eine Inschrift auf einer schwarzen Tafel an der Fassade des Black Bull Hotel an den Bruder der Brontë Schwestern. „This Inn was frequented by Patrick Branwell Brontë from 1817-1841 the only son of Rev Patrick Brontë in cumbent of Howarth from 1810-1861“ heißt es dort im ersten Satz. Banwell starb im Alter von nur 31 Jahren.
Romane
Das Schreiben war zunächst nur ein Hobby für die Schwestern. Ihre unkonventionellen Romane entsprangen ihrer erdachten Welt voller Sehnsüchte. Die Geschichten enthalten starke Gefühle wie Leidenschaft, Liebe und Eifersucht und machen auch vor Klassendenken nicht halt. Die Charaktere sind meist stolze Figuren, emotional, leidenschaftlich und obsessiv. Diese Art des Schreibens war nicht das, was man von Töchtern eines Pfarrers erwartete. Darum legten sich die Brontë-Schwestern männlich klingende Pseudonyme zu, deren Anfangsbuchstaben sich den realen Namen der Schwestern zuordnen lassen. Sie nannten sich Currer, Ellis und Acton Bell. Da es nur sehr wenige private Aufzeichnungen gibt, fragt man sich bis heute, wie es den Frauen in Anbetracht ihrer kontaktarmen Lebensweisen möglich war, ihre überaus leidenschaftlichen Romane zu verfassen, die bis heute Millionen Menschen faszinieren.
FrüherTod
Reverend Patrick Brontë überlebte alle seine Kinder, er starb 1871 im Alter von 84 Jahren. Emily wurde nur 30 Jahre alt. Sie starb 1848 nur drei Monate nach ihrem Bruder, wahrscheinlich an einer Lungenentzündung. Ihr einziger Roman blieb „Wuthering Heights“ (deutsch „Sturmhöhe“), den sie unter dem Pseudonym Ellis Bell veröffentlichte. Auch Anne, die das jüngste der ursprünglich insgesamt sechs Kinder – die Schwestern Mary und Elizabeth waren bereits im Kindesalter verstorben – wurde nicht alt. Sie starb im Alter von 29 Jahren an Tuberkulose. Charlotte lebte von allen Geschwistern am längsten und hinterließ somit auch die meisten Romane. Kurz vor ihrem Tod heiratete sie Arthur Bell Nicholls. Sie starb mit 38 Jahren während ihrer ersten Schwangerschaft, laut Totenschein an „Auszehrung“. Zu ihren bekanntesten Hinterlassenschaften zählt Jane Eyre (1847), veröffentlicht unter dem Pseudonym Currer Bell.
Die Werke der Brontë-Schwestern wurden vielfacht verfilmt und sogar parodiert. Kate Bush machte Wuthering Heights 1978 mit ihrer gleichnamigen Debütsingle auch in der Musikszene weltbekannt und Cliff Richard überzeugte in einer Musicalproduktion im Jahr 1996 in der Hauptrolle des Heathcliff. Das Leben von Charlotte, Emily und Anne währte nur kurz, doch die Faszination ihrer erdachten Tagtraumwelten bleibt.
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