Der Begriff Evensong entstand aus der Zusammensetzung von „Even“ (Abend) und „Song“ (Gesang) und bezeichnet den gesungenen Gottesdienst am Abend, der auf Deutsch als „Abendvesper“ oder „Chorvesper“ genannt wird. Es ist ein abendliches Stundengebet, das ursprünglich in der anglikanischen Kirche beheimatet war. Der Evensong ist relativ kurz, in der Regel etwa 40 Minuten, und beinhaltet Chormusik, Lesungen und Gebete. Kurzum, es ist eine Abendandacht, die traditionell bei Sonnenuntergang abgehalten wird und den Abschluss eines weiteren Tages im Glauben markiert.
Vom Ende des Mittelalters bis heute angepasst
Der moderne Evensong-Gottesdienst basiert auf dem Muster des “Book of Common Prayer” (1549) der anglikanischen Kirche und umfasst Chormusik, Lesungen und Gebete. Dies gilt als Meilenstein im Rahmen der englischen Reformation (Abspaltung von der römischen Kirche). Es gibt eine eigene Gottesdienstordnung – heute würde man sagen: Skript – das die Anwesenden darauf hinweist, wann und wo sie sich im Gottesdienst befinden und – hier kommt der Clou – wo sie bei Bedarf einstimmen können. Denn nicht nur der Chor darf hier singen, sondern jedermann, also auch die Laien, können ihre Stimmbänder benutzen. Das macht es wohl für viele Kirchenbesucher attraktiv, mitzusingen, ohne dabei selbst in einem Chor mitzumachen. Typisch britische Merkmale dieser Abendandacht sind: Mit einer Dauer von 40 Minuten liegt die Würze in der Kürze. Außerdem haben die Anwesenden die Freiheit, den Gebeten aufmerksam und still zu folgen, sie nachzusprechen oder gar mitzusingen. Auch Anfänger sind jeweils herzlich willkommen und meistens gibt es zum Abschluss einen „Cup of Tea“.
Das wichtigste Element ist der gemeinsame Psalmengesang, weitere Bestandteile sind Chorlieder, Gemeindelieder sowie zwei Lobgesänge aus dem Neuen Testament, das Magnificat (Lobgesang Mariens) und das Nunc Dimittis (Lied des greisen Simeon). Eine Lesung, Fürbitten und Momente der Stille gehören ebenfalls dazu.
Steigende Beliebtheit in Deutschland
Diese Gottesdienstform eignet sich in besonderer Weise, zur Ruhe zu kommen und den Tag in Gemeinschaft und im Vertrauen auf Gott ausklingen zu lassen, laut der offiziellen Webseite der Church of England. Auch im deutschsprachigen Raum werden Gottesdienste unter der Bezeichnung “Evensong” immer beliebter. Im Gegensatz zur Kirche von England ist der Spielraum hier viel größer und der Ablauf unterscheidet sich wesentlich vom Ursprung. Wollen Sie das britische Original hören? Dann sehen Sie sich gerade in der kommenden Herbst- und Winterzeit die erstklassige Live-Schaltungen aus Westminster Abbey auf deren YouTube-Kanal an.
Ein Blick in die Geschichte
Ein Name darf beim Evensong nicht fehlen, und zwar Thomas Cranmer. Ein Großteil des Inhalts des “Book of Common Prayer” stammt von diesem Gelehrten, der während der Herrschaft von Heinrich VIII., Eduard VI. und Maria I. Erzbischof von Canterbury war. Er hat alte Gebete für den Einsatz in anglikanischen Gottesdiensten recherchiert, übersetzt und vereinfacht. Dank ihm wird diese Abendandacht auch heute noch täglich in vielen Kathedralen der Church of England, der Church of Wales, der Scottish Episcopal Church, der Church of Ireland sowie in den Kapellen von Universitätskollegien gefeiert. Die Abendandacht hat einige der bedeutendsten Chorkomponisten der Geschichte inspiriert, vom englischen Renaissance Meister Thomas Tallis bis zum irischen Komponisten der Spätromantik Charles Villiers Stanford. Dies inspirierte eine einzigartige, ungebrochene Tradition der Gründung von Chorschulen in ganz Großbritannien und Irland, die den besonders hohen Standard und den charakteristischen Stil des anglikanischen Chorgesangs prägt, der bis heute erhalten bleibt. Und doch hat jede Generation dieses kulturelle Erbe leicht verfeinert und angepasst.
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